deliberate prose

25
Nov
2006

Aller Anfang ist weg - Dietter durchgekaut und ausgespuckt

Vor den Augen Dietters verschwanden die Konturen eines Gegenstandes, von dem er wusste, dass er für ihn persönlich von Bedeutung war und dass er ihn kannte. Auch erinnerte er sich an einen weißen Gegenstand aus Porzellan, dem er, bevor seine Sinne die Party verließen, auf eine Art begegnete, die ihm die kommenden und gehenden Zeitgeister so nicht haben angedeihen lassen.
Dietter hatte den Anfang seiner Geschichte verloren, aber er wusste, dass es einen Grund für die zunächst stehende und später sitzende Konfrontation mit dem kalten Porzellan gab. Seine jüngste Erinnerung allerdings zeigte ihn selbst auf Knien und er konnte sich keiner Religion besinnen, die sich durch solche Rituale definierte. Verzweifelt suchte er in seinen inneren Texten nach der Öffnung der Klammer, die ihm zeigte, wo der Einschub dieser Episode begann. Es musste auch einen Text außerhalb dieser Klammer geben. Oder war gerade dieser Gedanke Religion? Dietter merkte erst jetzt, dass er mit seinen Zähnen am letzten Spreißel seines Fingernagels hing. Es muss ein Leben mit Fingernägeln gegeben haben. Und es gab zumindest die Erinnerung an eine stehende Begegnung, an ein Leben in Würde. Dietter hatte einen mentalen Platten und doch rollte er über die Ziellinie der Erkenntnis, dass der Mensch von Natur aus mit Fingernägeln auf die Welt kommt, dass es Namen für die Dinge gab und man sich ihnen stehend und nicht auf Knien rutschend nähern konnte, dass… es flimmerte in seinem Kopf - dieser Traum beschäftigte ihn: eine Wolke, ein Schloss, seine Uhr, die 23 Minuten nachging, was von immenser Bedeutung war. Merkwürdig. Grausam der Gedanke, dass selbst die Rückführung des eigenen Weltkonzeptes auf eine alles beherrschende Logik nie eine Gefahr ausschließen kann: Wenn nun dieses Mutterschiff - dieser erste und letzte Kontaktmann - der Wahnsinn ist, vor dem man zu fliehen Zeit seines Lebens bemüht war? Sollte das Leben außerhalb der Klammer vielmehr der Einschub sein und Dietters Welt der Unschärfe das Schärfste, das er jemals gesehen hatte? Es durfte nicht sein. Dietters Gedanken, dass diese vagen Erinnerungen Teil einer verlorenen Existenz sind, entsprangen keinem Wahn. Er gab sich nicht die Mühe, das zu beweisen, er postulierte es, denn anders war der Schmerz nicht auszuhalten, den ihm der Verdacht einer alles in Frage stellenden Wahrheit verursachte. Einer Wahrheit, die ihn zu einem Leben auf Knien, ohne Begriffe, ohne Fingernägel und mit unscharfen Konturen verurteilte. Da blieb einem ja nichts anderes übrig, als Alkoholiker zu werden – Alkoholiker! Welch Freude! Ein kurzes Aufflackern des Lichts ließ die Schatten an der Wand tanzen. Endlich ein Begriff, der passte. Alles war in Ordnung, Dietters Dasein war nicht umgeben von Gefängnismauern, hinter denen es keine Freiheit gab. Ebenso wenig war er der freien und endlosen Wildbahn des Wahnsinns ausgeliefert. Dietter war einfach nur Alkoholiker geworden. Glück gehabt!

Das beruhigte ihn und die Verbissenheit ließ nach, mit der er der Frage nach der Genesis seines Lebens hinterher jagte. Denn dieses Problem war in diesem Moment eine Nummer zu groß; so viel konnte er nun erkennen. Vielmehr galt nun sein Augenmerk diesem rätselhaften Gegenstand. Dietter hob sich auf die Beine. Sein einziger Freund war nun ein Holzstock mit Haaren am unteren Ende. Er gab ihm in diesem schweren Moment den nötigen Halt, denn der Alkoholiker braucht mehr als nur zwei Beine. Dietter sah auf seine Füße. Vor ihm die unter der Last seines schiefen Körpers an den Boden gedrückten Borsten, noch ein Stück weiter weg von ihm ein akkurat zusammengekehrtes Häuflein Dreck, hauptsächlich bestehend aus Zigarettenstummeln.

Dietter erkennt ein in der Luft stehendes Zeichen als Haltestellenschild. Seinen Körper, fast vollständig in Orange getaucht. Weiter hinten die schemenhaften Umrisse sich hin und her bewegender Tänzer, die mit Kämmen an langen Stielen den Boden streicheln und dabei ständig um Ruhe bitten: „Scht! Scht! Scht!“ – auch dieses Geräusch kitzelt unerklärlich vertraut seine Ohrläppchen. Es gehört nicht hierher.
Nun begann er, den Dingen Namen zu geben: Besen. Schmerzen im Nacken und an der rechten Schläfe. Flasche. Sie gehörte nicht in den Dreckhaufen, der vor ihm lag. Der rätselhafte Gegenstand: Fahrbare Mülltonne, die gekippt auf zwei Rollen man hinter sich herschieben kann und dabei ganz und gar nicht aussieht, wie die Spitze der Bordcrew eines Passagierflugzeuges.
Reinigungspersonal der Stadtbetriebe. Dietter sah sich in Uniform, hinter ihm ein Gefolge langbeiniger ewig lächelnder Grazien mit rollenden Mülltonnen in zarten Händen auf dem Weg zum Check-in, einem brüllenden Lastwagen mit riesigem Loch anstelle einer Rückwand.
Die Flasche, eben stand sie noch auf dem Bordstein, fand sich in Dietters Hand wieder. Die durchsichtige Flüssigkeit war verschwunden, ebenso Schmerzen und Grazien. Zwei verlorenen Schneeflocken gleich tanzten Gedankenfresszettel wie „negative Verstärkung“ und „abholen, wo sie stehen“ dem Boden entgegen. Hatte es etwas mit dem Bus zu tun, der einige Minuten zuvor die Fahrgäste da abgeholt hatte, wo sie eben noch standen? Waren es die Worte seines Fachleiters bei der Stadtreinigung, der immer zu sagen pflegte, man solle die Dosen da abholen, wo sie stehen? Wie auch immer, in den letzten Minuten lernte Dietter mehr, als er in seinem ganzen Leben gelernt hatte. Eben noch Tabula rasa war Dietter nun imstande, den Pappbecher behutsam an den Gegenstand namens Rolltonne heranzuführen. Das verlangte ihm ein ganzes Stück Abstraktionsleistung bezüglich des exemplarischen Lerninhalts seines Fachleiters ab. Die Angst vor Wahnvorstellungen kam Dietter nur in dem Moment wieder, als er versucht war, dem Becher eine Antwort auf die Frage abzunötigen, was denn nun der wesentliche Inhalt der Rolltonne sei. Stärker als je zuvor packte ihn das Gefühl, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Sein ganzes Leben lang ließ ihn der Verdacht nicht los, er wurde sein ständiger Begleiter und Dietter war drauf und dran, diesen Umstand als normale Skepsis dem Leben gegenüber anzuerkennen. Doch als er auf das Zifferblatt hinter der zerbrochenen Scheibe seiner Armbanduhr blickte, merkte er, dass das Glockenspiel der Kirche genau diese Uhrzeit ankündigte, was nur normal wäre, wenn Dietters Uhrzeiger sich noch bewegten. Sie bewegten sich nicht. Der nächste Bus kam angerollt und passierte die verlassene Station ohne Halt. Dietter überquerte die Straße in Richtung Haltestelle. Er versuchte, den Fahrplan zu entschlüsseln. Es musste ein Werktag sein, schließlich arbeitete er bei der Stadt und nicht…– ihm fiel kein passendes Beispiel ein. Wer arbeitet denn am Wochenende?
Der Bus kam alle 20 Minuten. Merkwürdig. Eine innere Stimme sagte ihm, dass es anders sein müsste. Aber wie? Sollte der um die Ecke biegende Bus nicht eigentlich der erste sein? Das ergab keinen Sinn. Müsste nicht die Kirchturmuhr stehen und Dietters Armbanduhr, zwar funktionierend, aber dennoch übereinstimmend mit der durch den Glockenschlag des Kirchturms angekündigten Uhrzeit, wenn diese denn unter ausgeführten Umständen paradoxerweise einen Ton von sich geben könnte, wo sie doch stehen geblieben wäre (heißt es nicht „häbe“?) – Dietter verlor den syntaktischen Überblick. Er gab sich abermals dem paranoiden Misstrauen hin, dass die Welt, die sich ihm darbot, falsch gezeichnet war.
Natürlich gab es für alles eine einfache Erklärung. Abgesehen davon wusste er noch zu wenig über die Umstände. Aber er war der einfachen Lehrsätze überdrüssig: "Für einen Wechsel ist jetzt nicht die richtige Zeit, entspann dich, nimm's leicht. Dein Fehler ist dein jugendlicher Idealismus, du hast ja keine Ahnung..." Wie konnte er das alles erklären? Er wusste nur, dass er nicht hier hergehörte und das er gehen musste - und dann kam das Gitarrensolo. Ihm kam seine Katze Stefan in den Sinn. Noch immer war es ihm ein Rätsel, dass das Tier von einem Tag auf den anderen keinen Alkohol mehr trinken wollte. Seine Reise in die die USA: der Mann von der Zollbehörde, der aus unerklärlichen Gründen Stefan zur unerwünschten Katze deklarierte. Katzkaesk, sagte Dietter, um die Stimmung etwas aufzuhellen. Aber da war nichts zu machen.

22
Okt
2006

Carpe noctem oder

Die Suche nach dem heiligen Baba

Endlich. Nach einer nicht ungefährlichen Reise quer durch die sieben Weltnetze kann ich in den Nachtnebeln die verschwommenen Umrisse Reflands ausmachen. Pfeilschnell reitet mein Segelschiff, die “Elektrödchen”, auf den Ätherwellen und schon tauchen die graugrünen Hoffnungshügel aus dem Dunst auf. Am Himmel türmen sich purpurne Wolkenmassen vor den Mond, verschlingen ihn in wilden Rudeln und speien ihn wieder aus. Wirklich, es sind meine Reflands, wie ich sie kenne. In den Tälern der Hoffnungshügel schlängeln sich silbern die Stressflüsse und auf der höchsten Erhebung thront, finster und fledermausumtanzt, Schloss Hittlersbronn. Mit einigem Stolz erhebe ich die Hand zum pädagogischen Gruß, d. h. ich schlage mir dreimal mit der Handfläche an die Stirn.

Als ich durch den flachen Äther an den Strand watete, löste sich aus einem der Hügel ein Schatten und in der Luft über mir ertönte ein leises Zischen. Kaum angekommen, überfiel mich die erste Vision in diesem Land. Keinen Schritt weit von mir entfernt manifestierte sich Etwas zu voller Leibesgröße: die Mephista.
Selbst der grünste Refländer kennt die Mephista, den Geist von Schloss Hittlersbronn. Furchtbare, dunkle Geschichten hört man von ihr munkeln.
Sie überragte mich um drei Köpfe und war ganz in scharlachrote, flatternde Tücher eingewickelt. Bis auf ein schneeweißes Lippenpaar, sah ich nichts von ihrem Gesicht. Ich zitterte in den Knien und mit den Zähnen, mit den Wimpern und in den Fingern. Kurz: am ganzen Leib und mir kam es so vor, als zitterten auch die Ätherwellen um mich und kräuselten sich vor Entsetzen. Denn hinter der Mephista tauchte ein stummer Halbkreis auf, der sich schleichend näherte, immer näher schob er sich und immer enger zog er sich um mich und die Mephista herum. Es waren die Pädagnome, ein kleinwüchsiges aber bösartiges Volk, das der Mephista diente und sie zugleich beherrschte. (Pädagnome herrschen vermittels mentaler Viren, für die sie einen Wirt brauchen. An und für sich sind sie tote Materie.)
Mit einem Schlag wurde ich starr und still, als ich ihre knochenlosen Arme mit den Saugnapf-Händen erkannte. Sie schlenkerten sie in beinahe drolliger Weise durch die Luft. Mir aber wollten sich die Fußnägel vor Grauen hochrollen. Denn dem Unglücklichen, den sie umarmen wird buchstäblich alle Lebenslust ausgesaugt.
Die Mephista öffnete die Lippen und ich ahnte, dass sie nun unweigerlich mein Todesurteil rezitieren würde.
“Ich bin der Geist, den niemand rief./
Ich bieg dir bei, was krumm und schief./
Vergiss die Zeit, als es noch gab/
Gedankenfreiheit, vor dem Grab/
Hier unterschreib, mit einem Tröpfchen Blut/
(im Notfall auch mit blauem Bier)/
“Ich, ein Ref., vermach mein Hab und Gut,/
vermache meine Seele dir.”
Plötzlich flatterte ein Pergament aus ihrem leeren Ärmel hervor und eine rote Hahnenfeder schob sich mir sanft in die Hand, obwohl ich beide Hände mit aller Kraft zur Faust geschlossen hielt. Der Mond erschien hinter einem vorbeifegenden Wolkenrudel und erneut sah ich die Pädagnome, mit bleichen und blutleeren Gesichtern. Der Zirkel um mich hatte sich beinahe geschlossen. Ich war eingekreist. Und die Feder in meiner Hand begann wie eine Flamme zu brennen. Nur nicht panisch werden. Nur nicht panisch werden.
Ich wurde panisch. Wie ein Wahnsinniger begann ich mir mit der freien Hand gegen die Stirn zu patschen, immerfort den pädagogischen Gruß vollführend. Und das Unwahrscheinlichste geschah. Weil sie reflexartig den Gruß wiederholte, war die Mephista für einen Moment irritiert. Diesen Augenblick nutzte ich und brach unter ihren scharlachroten Ärmeln nach links aus, so dass sie ins Leere griff.
Wie ein geölter Sextaner raste ich zu der Stelle, wo sich der Ring der Pädagnome noch nicht ganz geschlossen hatte. Ich setzte zu einem kühnen Sprung an, der über Leben und Tod entscheiden musste und durchbrach den sich eben schließenden Kreis. Allerdings schluckte ich bei der Landung im Ätherschlick eine gute Hand voll Dreck und würgte wie im Ersticken, als mich ein Saugnapf-Finger am Nacken berührte. Das riss mich empor und ließ mich mit letzter Kraft davon taumeln.
Ich eilte den Strand entlang, fiel hin, kam wieder hoch, kämpfte mich die Uferböschung hinauf und bemerkte schließlich, dass ich alleine war. Die Pädagnome waren als Kaltblüter zu träge, um eine Verfolgung durchzuhalten. Und der Geist von Schloss Hittlersbronn, die Mephista, manifestiert sich (nach einem uralten göttlichen Recht der Reflands) immer nur einmal in einem Monat und stets nur an einem einzigen Ort.
Vom Kamm einer Düne erblickte ich den leeren Strand. Lediglich das Rauschen des Äthers erfüllte die Luft und in der Ferne sah ich mein Segelschiff ruhig vor Anker liegen.
An der Mündung eines Stressflusses hielt ich inne, weil mir etwas merkwürdig vorkam. Aber da war nichts. So wandte ich mich in Richtung Inland und wanderte am Stressfluss stromaufwärts, da er direkt unter dem Schloss entlang floss. Auch am Himmel war nun Ruhe eingekehrt. Doch dann wusste ich, was mich stutzig gemacht hatte: es wurde zunehmend finster schnell, viel zu schnell. Kein Stern war mehr zu sehen. Der Mond aber glitt dicht über dem Horizont wie eine milchweiße Frisbee über den Himmel - und verschwand. Die Nächte der Reflands sind in der Tat bekannt für ihre Dunkelheit, doch das hier war etwas anderes. Wie eine schwarze Katze die in einem Kohlensack in einem fensterlosen Keller hockt - ungefähr so wirkte es. Der Vergleich drängte sich mir auf und nachdem ich in Richtung Schloss Hittlersbronn geblickt hatte, wusste ich weshalb: Über den Zinnen der neokasernistischen Festung schwebten zwei riesige, smaragdgrüne Leuchtdinger. Offensichtlich waren es Gebilde aus Gas. Ihr schwach pulsierendes Licht übergoss die ganze Gegend mit einem diffusen Licht, als bewege man sich tief unter Wasser auf einem veralgten Korallenriff.
Einige Stunden lief ich am Ufer des Stressflusses entlang. Rohrstockenten dümpelten vorbei. Ab und zu sprang eine schillernde Lea-Poben-Forelle über den nun bleigrün schimmernden Strom. Wie von einen Stromstoß aufgepeitscht, klatschte sie zappelnd ins Wasser. An einer Stelle, an der zwischen Fluss und einigen steil aufragenden Kreidefelsen kaum Raum zum Durchgang blieb, döste im nachtwarmen Uferschlick eine Großfamilie von Krokodidakten. Krokodidakten sind Tiefschläfer. Selbst wenn se wach sind, schlafen sie tief. Wenn sie wirklich einschlafen, beginnen sie sofort mit einer rapiden Fossilbildung, d. h. sie versteinern bei lebendigem Leib. Es gibt nur eine Ausnahme, bei der ein Krokodidakt im eigentlichen Sinne des Wortes wach wird, aber der tritt so gut wie nie ein. Jedenfalls nicht in den Reflands.
Ich war nun dicht herangekommen. Die schweren Körper der Tiere senkten und hoben sich gleichmäßig unter den regelmäßigen Atemzügen der Schläfer. Ihr gleichmäßiges Schnarchen - es erinnert entfernt an eine Art prae-artikuliertes menschliches Brabbeln - beruhigte mich. Ich gab mir einen Ruck und begann wie eine Refländische Seiltänzerin graziös über sie hinweg zu steigen. Nur nicht auf die Schnauze treten. Nur nicht auf die Schnauze treten!
Ich trat einem Krokodidakten auf die Schnauze. Dann geschahen plötzlich viele Dinge auf einmal. Zwei Augendeckel klappten von oben nach unten auf und entblößten ein Paar schwefelgelber Augen. Mein Herz fiel in meine Hose, dicht gefolgt von meinem Hirn. Und ich wurde mit katapultartiger Wucht durch das aufschnappende Krokodidakten-Maul vom Boden hoch in die Luft geschleudert.
Während ich noch immer an Höhe gewann, sah ich unter mir einige Bartstreicher-Kolibris aufgeregt durcheinander flattern. Bartstreicher-Kolibris leben in einer quasi-ehelicher Symbiose zwischen den wulstigen Vertiefungen der Krokodidakten. Mit ihren winzigen Kolibri-Bärten putzen und polieren sie emsig die Zähne ihres Lebensgefährten, immer in der Hoffnung, sich dadurch die Krokodidakten gewogen zu machen. Von den Krokodidakten war mir nur bekannt, dass sie die katapultartige Fangmethode völlig perfektioniert hatten. Selbst kleine Mammuts wirbelten sie mühelos in die Höhe. Was immer es war, ob Hamster, Hase oder Höhlenbär, es landete mit tödlicher Sicherheit genau im empfangsbereit aufgesperrten Maul des Krokodidakten und dann - Mahlzeit. Das Gebiss eines Krokodidakten ist mit einem “Besteck” von 365 stumpfen Hack- und Reiß-Pointen gespickt.
Mich ergriff ein Gefühl von Schwerelosigkeit, was wohl daran lag, dass ich mich nun im äußersten Zenit meines Fluges befand. Für eine winzige Ewigkeit genoss ich die erhebende Panorama-Aussicht - wir Refländer lieben eben unser Refland, selbst in brenzligen Situationen. Dann aber kam ich zu dem Ergebnis, dass es nun, nachdem ich den Aufstieg schon mit zerstreuten Assoziationen vergeudet hatte, Zeit für einen Plan war. Für einen guten Plan. Und er sollte keiner langen Vorbereitungszeit bedürfen. Ich hing etwa hundert Meter hoch in der Luft und spürte klar und deutlich wie mein Allerwertester bleischwer wurde und im Begriff stand, in diesem Sturzflug die Führung zu übernehmen. Herz und Hirn rutschten mir infolgedessen wieder an ihre angestammten (höher gelegenen) Plätze, was wiederum die Planungsarbeit erleichterte. Die Synapsen stampften auf Hochtouren. Ich beobachtete wie von außen das Formieren einer Idee in meinem Geist. Sie nahm schnell Gestalt an und leuchtete plötzlich grell als brennende Flammenschrift an der Innenseite meiner Stirn: “Positive Perspektive”. Ich hatte irgendwie etwas Handgreiflicheres erwartet, aber egal. Wenn man wie ein Stein auf ein Krokodidaktenmaul zustürzt, nimmt auch die eingefleischteste Plankritik exakt proportional zu Fallgeschwindigkeit und Fallhöhe ab. Ich war also so einig mit mir und dieser Idee, wie das sonst im Alltag nie vorzukommen pflegt.
“Passagiere bitte anschnallen. Nehmen sie jetzt ihre positive Perspektive ein!” tönte es in meinem Kopf. Ich nahm ein. Ich sah an meinem Hintern vorbei nach unten und in mir blühte die (umformulierte) Erkenntnis auf: Zuweilen verhilft ihm seine Trägheit dazu, das anvisierte Ziel zu erreichen.
Eine kleine Welle von Zuversicht überspülte mein zermartertes Gehirn. Noch zehn Meter bis zum Aufschlag.
Wir betrachten seinen Fall mit großem Interesse.
Eine zweite lauwarme Welle folgte der ersten. Noch fünf Meter.
Sein klarer und ungezwungen eleganter Absturz verrät uns dialektisch ein entsprechend außergewöhnliches Potential zum Aufstieg.
Weitere Glückswellen und ein gelassener Blick auf das (wie ich mit einigem Bedauern feststellen musste) nicht gerade saubere “Besteck” des Krokodidakten.
Man darf bei ihm ohne Scheu von einem Genie im Stürzen sprechen.
Eine warme Glückskaskade wallt vom Kopf über die Meridiane bis in mein Lotus-Chakra, das sich (linksherum) zu drehen begann.
Noch einen Meter.
Lächelnd komme ich in den Genuss des unvergleichlichen Mundgeruchs eines Krokodidakten und sehe mit einem vor Liebe überströmenden Herzen in die Augen des so bedauernswerten Tieres. Gibt es eigentlich Fakire, die auf zwei Brettern gleichzeitig meditieren, eins unten und eins oben?
Die Kiefer schlagen krachend zusammen. Aber ich bin nicht dazwischen. Wieso bin ich nicht im Maul des Krokodidakten? (Entrüstung meinerseits.) Weil ich im Maul eines anderen Krokodidakten hänge. (Erleichterung meinerseits.) Nur der unerbittliche Konkurrenzkapf unter Krokodidakten kann dieses Missgeschick erklären. Aber nein, auch das ist nicht der Fall. Ich falle nämlich immer noch, nur das ich nach oben stürze!
Das war zuviel für mich. Ich fiel (auch das noch) in Ohnmacht.

Keine Ahnung wie lange ich so nach oben gestürzt war. Ich erwachte, weil ich gerade wieder eine Wolkenschicht durchbrach, was auf der Haut ein leichtes Kitzeln verursachte. Bevor ich meine neue Lage überdachte, dankte ich der heiligen Angalaka, die mich geduldig in der Kunst der positiven Perspektive unterwiesen hatte. Ich seufzte und nahm eine bequemere Haltung ein, weil mir vom vielen Stürzen langsam der Rücken weh tat.
Neben meinem Ohr seufzte es ebenfalls.
Langsam und ungläubig drehte ich meinen Kopf zur Seite, aber eine neue Wolkenbank machte mich für einige Minuten zum Blinden.
Ich war nicht allein. Soviel stand fest. Mehrmals noch drangen, von der Wolkenmasse gedämpft, melancholische Seufzer an mein Ohr. Dann endete die Wolkenschicht plötzlich und ich sah es parallel neben mir aufwärts stürzen: das grüne Leuchtauge, das über Schloss Hittlersbronn aufgegangen war.
“Wer bist du?” keuchte ich.
Die gestaltlose Gaswolke gab keine Antwort.
“Weißt du, wohin wir stürzen?”
Keine Antwort, nicht einmal mehr ein Seufzen.
“Kannst du mir sagen, wie ich wieder auf den Boden der Reflands zurückkomme, wenn möglich: ohne beim Aufprall auf die Breite einer Briefmarke deformiert zu werde?”
“Kann ich.”
Ich wartete mit angehaltenem Atem. Mittlerweile tauchte ich in ein uferloses Sternenmeer ein. Beim Durchqueren der Zirruswolken hatten sich Myriaden feinster Eisnadeln an Haaren, Augenbrauen und Kleidung gesammelt. Auf meiner Stirn knisterte der Schweiß in winzigen Eisperlen. Ich war offensichtlich auf einen Sprechakt-Komiker getroffen. Neuer Versuch: “Wäre es dir möglich, eine Ausdrucksform zu finden, die einen Informations- und Datenstrom, zu der von mir geäußerten Frage, in Form einer perlokutiven Transformation initiiert?!?
“Ja.”
Wieder ein eisiges Schweigen in schweigender Eisigkeit.
“Dann spucks aus! du Methangeburt eines schleimiger Froschleiches! oder was immer du bist!”
“Du stürzt im Moment direkt auf den Andromeda-Nebel zu. Dort befindet sich eine Parallel-Galaxie, die mit der unseren exakt äquivalent ist. Jedes Blatt am Baum, jede Schneeflocke am Himmel, jeder Eichhörnchenköddel hat sich dort oben in genau derselben Form und Zeit gebildet. Bei einer unendlichen Raum und Zeitausdehnung des Universums ist die Existenz einer solchen Galaxie ja zwingend logisch. Nur das diese Galaxie 23 Minuten vorgeht oder umgekehrt gesehen unsere Galaxie 23 Minuten nach.”
Ich stöhnte - bitte kein Nietzsche. Bitte kein Nietzsche.
Er zitierte eine halbe Seite Nietzsche aus “Refländisch- Allzurefländisches.”
“Wer an den Urknall glaubt, hat selber einen”, so fuhr der grüne Gasbommel wieder selbst dichtend fort. Jedes Kind begreift doch, dass vor dem Urknall der Urstrudel stand und vor dem wiederum ein Urknall und so weiter. Die Vereinigung aller schwarzen Löcher des Universums wird in absehbarer Zeit, also in ca. 2,2 Quilliarden Jahren unser Universum auf die Größe einer Erbse konzentriert haben, bevor es wieder knallt. Astronomisch richtiger wäre es wohl auch, nicht wie ein Kleinkind von Knallern und Löchern zu sprechen, sondern von einem Ein- und Ausatmen des intergalaktischen Universalkörpers. Am Ende jedes Atemzugs, stülpt sich das Äußerste nach Innen und das Innerste nach Außen, wodurch eine unendliche Kombinations-Spirale aller nur denkbarer Existenzen entsteht. Ein getreues Abbild des Universums findet sich übrigens in deinem Ohr: Hammer und Amboss entsprechen dem Urknall und die Gehörschnecke präfiguriert den dazu gehörenden Urstrudel. Nun zu deiner zweiten Frage.”
Ich japste nach Luft, denn der gestirnte Himmel über mir und Nietsches Humbug neben mir konnten mir beide nicht beim Atmen helfen. Ich pumpte den letzten Sauestoff in meine Lungen, ballte die Fäuste und wollte gerade urknallartig vor Wut platzen, als mein großer, grüner Freund kurz und klar antwortete: “Ich bin deine Frustrationstoleranz.”
Mit Authentizität kommt man immer noch am weitesten, konstatierte ich und began mich abzuregen. Noch ein Dank an die hl. Angalaka und ihre Ratschläge, die sich nun als unersetzlichen Offenbarungen erweisen.
“Meine Frustrationstoleranz”, wiederholte ich. “Und was bedeutet das, wenn ich zufällig die Absicht hegen würde, mein Leben zu retten?”
“Je frustrierter du wirst, desto mehr schwelle ich an. Je verzweifelter du alles siehst, desto leuchtender, größer und greifbarer werde ich. Kurz: Du musst weniger werden, damit ich mehr werde.”
“Und, bin ich gut darin?”
“Sehr gut sogar. Ihr Refländer seid ja alle die reinsten Frustgoldgruben, aber sieh mich an.” (Die Smaragdkugel räkelte sich wohlig. Sofern sich eine Kugel räkeln kann.) Man könnte mich geradezu greifen, so manifest bin ich neben dir geworden.”
Meine Stimme bekam einen samtenen Klang. Ich säuselte mit höflichstem Interesse.
“Könnte man das also.”
“Jaja!”, bestätigte mein Begleiter.
Zu spät durchschaute es meine Absicht. Mit einer Eskimorolle rollte ich mich blitzschnell, die Hände ausgestreckt, um die eigene Achse und hatte die grüne Leuchtkugel erwischt. Sie schrie auf, zappelte wild und sprühte smaragdfarbene Fontänen aus einem buckelartigen Höcker, fast wie ein Walfisch. Umsonst, denn ich umklammerte das wabernde Gaswesen mit beiden Armen und Beinen. Etwas weniger heroisch als Käpt`n Ahab, zugegeben, aber wohl kaum weniger verbissen.
“Also gut. Ich gebe auf. Verlang was du willst, nur lass mich los.” Ich verlangte und die grüne Gaskugel flog mit mir auf dem Rücken einen halben Looping, um Kurs auf meine Reflands zu nehmen. Schon bald darauf passierten wir die ersten Wolkenfelder.

Ihr wahrer Name sei gar nicht “Frustrationstoleranz”, bekannte sie kleinlaut. Ein Coup der Mephista sei es gewesen, bei dem eine Gruppe von Pädagnomen in den Westturm von Schloss Hittlersbronn eingedrang und in aller Stille eine Reihe von Geburtsurkunden im refländischen Grundbuch fälschte. Obwohl die Pädagnome von der Wachmannschaft entdeckt und verjagt wurden, ließ sich die entstandene Verwirrung nie wieder rückgängig machen.
“Gustav”, das ist mein wahrer Name, sagte die Gaswolke mit einer Mischung aus Stolz und Trauer, die mich berührte.
“Gustav von und zu verdammte Scheiße. Aber so nennt mich schon seit Jahrzehnten niemand mehr auf Refland.”
“Ich werde dich so nennen,” erwiderte ich, nicht ohne Empathie für das Schicksal meines Gefährten und seine grausame Identitätsverzerrung zu empfinden. Es war ja letztendlich ich , mit dem ich gerade Mitleid empfand.
“Du darfst mich Gugu nennen.”
Diese Bemerkung ließ meinen letzten Ärger schmelzen, was nur dummerweise zur Folge hatte, das auch mein Frustrationspotential dahin schmolz. “Gugu!” rief ich erschrocken. Ich stürzte mal wieder. Das war jetzt schon fast Routine geworden. “Gugu! Verdammte Scheiße!”
Da spürte ich wieder den Gasball unter mir, griff in die grün lodernde Mähne, presste die Schenkel zusammen und glitt wieder auf meine Flugbahn zurück.
“Mach das nicht noch mal, Gugu!, rief ich.
“Tut mir leid”, entgegnete Gugu. “Sympathie vertrage ich einfach nicht.”

Die Landung verlief ausgesprochen sicher. Gugu setzte mich auf dem höchsten Turm des Schlosses ab und ich ließ ihn wie versprochen los. Ich wollte ihm noch die Hand schütteln, wegen Anstand, aber als er meine Dankbarkeit spürte, wich er instinktiv zurück.
“Es war mir eine Ehre, Refländer.” Seine Stimme kam wie von weit her.
“Bevor du ganz verschwindest, Gustav: Als ich hier ankam habe ich von unten zwei grüne Leuchtkugeln über Schloss Hittlersbronn gesehen. Wenn du die eine warst, wer ist dann die andere?”
Gugu glimmte nur noch schwach: “Das war dein Wochenende.”
Ich wankte. Ich hatte mein Wochenende gesehen. Mein leibhaftiges……
“Moment, Gugu, ist das wieder so ein Pädagnomen-Betrug? - Mein wirkliches Wochenende war das?”
Gugu kicherte. Wie das hell klingende Anstoßen bei einem Sektempfang klang Gugus gläsernes Gekicher.
“Nein, nein, nein. Wochenende ist keine Fälschung. Sein voller Name lautet allerdings: Baba von und zu Wochenende oder einfach Der heilige Baba. Obwohl die Pädagnome bereits einige Male ganz im Norden der Reflands bei den Wort-Alchimisten im Niemandstal an der Nirgendsquelle waren und Unmengen Gold in Wort-Seifenblasen verwandeln ließen, konnten sie bisher nichts anrichten. Du weißt, bei den Wort-Alchimisten biegen sie sogar Regenbögen gerade und verkaufen sie im Bündel.”
Ich schauderte bei dem Gedanken an die Regenbogen-Killer, die in den dunkelsten Wäldern hausten und mit grausamen Prismen-Fallen auf der Lauer lagen, um schließlich ihre Ware bei den Wort-Alchimisten gegen das buntblutige Kopfgeld einzutauschen. “Also weiter als bis zu verkorksten Anschlägen”, so fuhr Gustav von und zu verdammte Scheiße fort, “sind sie mit ihren dunklen Plänen noch nicht gekommen. Wehe dem Tag, an dem ihnen dies gelänge.” Gugu seufzte einen leisen, doch sehr tiefen Seufzer. “Das würde den Untergang Reflands bedeuten. Die Reflands müssten mit all ihren graugrünen Hoffnungshügeln im Nichts versinken. Die Stressflüsse würden anschwellen und über die Ufer treten. Schloss Hittlersbronn müsste binnen weniger Wochen zu Staub und Asche verfallen.”
Ich lauschte wie gebannt, die Hand hinters Ohr gestellt. Gugus Stimme drang nur noch als ein dünnes Säuseln zu mir herab. Aber vor meinem inneren Auge vollzog sich ein apokalyptisches Schauspiel.
Gugu war verschwunden. Allerdings wusste ich nun, was meine Aufgabe hier war. Ich würde den heiligen Baba finden, verteidigen und so viele Jungfrauen töten und Drachen heiraten wie nötig. Ich korrigierte mich und fuhr fort, die Faust gegen den Himmel gestreckt, an dem der Morgen seinen frühen rostroten Flaum zeigte: (Refländische Eidformeln, von der Redaktion aus Platzgründen gestrichen.)

Mein erster Tag in den Reflands brach an und noch vor dem Mittagessen hatte ich meinen Drachen erlegt. Eine Jungfrau war nicht dabei, dafür aber ein unaufhörlich im Kreis trampelnder Zwerg: der Ulz. Ein merkwürdiger Strom aus refländischen und lateinischen Brocken kam aus seinem Mund und konnte als jöröstische Sprache diagnostiziert werden. Um den Kopf des Ulz schwirrten Schwaden von winzigen Pörögröphen - einer Art refländischer Stechfliegen.
Den Drachen erlegte ich fast nebenbei mit meinem Damaszener-Löschpapier, dass dem Lindwurm schneidend durch beide Hälse fuhr, bevor er seinen Feuerstrahl ausspeien konnte. (Zugegeben: Ich schnitt mir dabei selbst in den Finger. Damaszener-Löschpapier ist einfach höllisch scharf.) Erst fiel der linke Kopf, der Schölröcht hieß, dann der rechte, der Bömptenröcht hieß. Beide lösten sich, sobald sie den Erdboden berührten, in einen quecksilbrigen und gallertartigen Brei auf. Aus dem wiederum schossen schmierige Pilzbüschel auf, unterderen Hüten schließlich neue Schwärme von Pörögröphen schlüpften und den Himmel zu verdunkeln drohten. Der Ulz hielt plötzlich ein Drachenjunges auf dem Arm und säugte es aus (bei Gott, die Wunder der Reflands sind unergründlich) seiner stark behaarten Brust. Aber das ist nun wirklich eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Überhaupt hat der Refländer noch viele Abenteuer zu bestehen, bevor er den heiligen Baba erringt. Er wird seine wunderschöne Refländerin finden, versteht sich. Dann mit ihr sieben Refländer-Kinder zeugen, die sie zur Welt bringen darf, während er, versteht sich, weiter frei durch die graugrünen Wälder seiner Heimat strolcht, um solche zur Strecke zu bringen, die noch größere Strolche sind, als er selbst. Vor Augen immer das here Ideal des heiligen Baba, dessen Umrisse er sich mit goldgrünem Garn auf sein Wams und seine Wäsche gestickt hat.


Unnötig zu betonen und doch betont wird von dem, der diese Aufzeichnungen in einer Grotte fand, wo sie ein Mönch vor 500 Jahren bei sich betragen hatte, als ihn ein Bär mit Haut und Pergament gefressen hatte, den dann eine junge Jägerin erlegte und aus dem Pergament eine Tischdecke anfertigte, die Jahrzehnte später in einem kleinen Pariser Geschäft von einem Gelehrten entdeckt und an zwei Kunstsammler verkauft wurde, die die Pocken bekamen und mit all ihrem verseuchten Besitz begraben wurden, bis sie Anfang des letzten Jahrhunderts ein eineiiger Zwilling zwecks archäologischer Studien ausbuddelte und die Pergamente seiner afrikanischen Geliebten vorlas, worauf die sich scheiden ließ und ihr Liebhaber vor Wut und Enttäuschung die Pergamente als Papierflieger von seinem berliner Hochhaus herabwarf, wo sie bald darauf eine Junglehrerin entdeckte, die soeben auf dem Weg zu ihrem ersten Elternabend war. Auf dem Elternabend erschien ein Erschießungskommando des Landeselternbeirats und erschoss alle Fachlehrer wegen (ich zitiere) mangelnder Fachkenntnisse in den Fächern Fluchen (Flu), Spielhöllenbetrieb (SHB), Pilz- und Destiliertechnik (PDT) und angewandte Völlerei (aV). Das Pergament litt zum Glück kaum und gelangte unbemerkt in die Tasche einer Putzfrau, die damit am nächsten Morgen zur Polizei lief. Die Polizei entdeckte zwei fünfhundert Jahre alte Fingerabdrücke und fahndete zehn Jahre nach dem Verdächtigen. Endlich wurde die Suche eingestellt und der Polizeipräsident schenkte das Pergament der Volkshochschule Unter-Gripsenbach-Rüsseldingen. Bei einem Kurs (“Balett für Anfänger und solche die es werden wollen“) entdeckte ich eines dieser Exemplare. Ein 61jähriger Börsianer hatte bei einem Schneeball-Balett eine Fensterscheibe eingeworfen und dann, auf der Suche nach einem Behelf in der Tütü-Truhe die Pergamente gefunden. Mit Tesafilm klebte das Pergament über das Schneeballloch. Der Baletttänzer hatte sich abgemeldet und verschwand spurlos, allerdings nicht ohne sämtliche Tütüs mitgehen zu lassen. Ich, Hausmeister Lukas Birkowsky, versichere jedenfalls, dass dieses Schriftstück unbedingt Parallelen mit der Wirklich aufweist, die allerdings nicht zufällig sind. Dass diese Parallelen aber allesamt auf zwanghafte Umstände und in keinem Fall auf böswillige Unterstellungen schießen lassen, versichere ich ebenfalls. Wer etwas anderes behauptet und hier persönliche Angriffe gegen die seltsamen aber allesamt unter Artenschutz stehenden Wesen der Reflands plant oder ausführt, dem droht ewige Vogelfreiheit auf Reflands Wiesen und Fluren.

PS: Am Grund der Tütü-Truhe fand sich noch eine rote, langstielige Schreibfeder, die keinerlei materiellen Wert zu besitzen scheint.

Lukas Birkowsky, den 22.10.2006 für einen nicht mehr ausmachbaren Refländer

20
Okt
2006

appetit-häppchen

Anmerkung des REF: hintergrund dieser appetit-häppchen ist, dass Refe in einem anfall poetischen furors eine eröffnungsgeschichte für REF Land geschrieben hatte und sie dann - oh verschlungene pfade der modernen kommunikationstechnologie! - den cybergöttern (aka: internet-orkus) geopfert hat; ich will nicht zuviel verraten, nur soviel, in dieser geschichte ging es um "Dietter mit zwei T"... anzumerken wäre vielleicht noch, dass Refländer angespornt von Refes beispiel gleiches mit seiner eröffnungsgeschichte vollbracht hat (und das ist doch irgendwie schade, denn nach dem, was mir beide über ihre geschichten erzählt haben, waren sie jedes bite wert...)


Unschuldige Studentengehirne?

Die Drogen müssen erst erfunden werden, die UNSCHULDIGE Studenten zu Roten Khmern des Campus macht. [...] Mittlerweile find ichs nicht mehr so schlimm, dass die Geschichte baden gegangen ist. Das gibt mir die Chance, selbige noch besser zu schreiben. (Man merkt schon: Eindeutig Negatives positiv zu formulieren, fällt mir nun gar nicht mehr schwer. Gute Arbeit, Angelika! Lernziel erreicht.)

Da kommt mir auch schon ein neues Thema in den Sinn: 20 Jahre später: Nora ist inzwischen Referendarin... Ein paar Trailer-Häppchen sollen Appetit machen:

--- "Nora, Sie reagieren sehr angemessen auf Rückschläge im Unterrichtsgeschehen."

--- "Ich sehe großes Potenzial bei der Optimierung Ihrer Lehrerpersönlichkeit..."

--- "Also, Sie haben sehr gut reagiert, als die Schüler Sie ausgebuht haben. Weinen kann ganz schön entwaffnend sein."

--- "Und wenn Sie es jetzt noch schaffen, dem Pausenbrot auszuweichen, dann sind wir schon einen gewaltigen Schritt weiter. Beim Appenzeller gelingt Ihnen das immer besser. Französische Salami ist schwierig, das gebe ich zu - gerade wegen der unregelmäßigen Flugbahn. Aber dazu kommt ja noch, dass der Justin schon eine sehr ausgefeilte Wurftechnik hat..."

--- "Sprechen Sie mir nach: 'Justin, es überrascht mich, wenn du meine Nase in die Spiegelklappe des Overheadprojektors klemmst. Ich fühle mich... gequetscht."

Wird Nora es schaffen, sich gegen Überforderung abzugrenzen?

Kann sie Justins Zeichen der Zuneigung ("Wollen Sie mein Pausenbrot?") endlich als solche erkennen?

Gruß,
Refe.

Tja, Refe, da haben wir wohl ähnliches durchgemacht. Geschichte verloren, Negativ-Potential durch Angelika gelöscht. Die Welt ist grausam,
aber schön,
denn: was uns nicht voll umbringt, verschafft uns die buntesten Traumata. Und Traumata machen kreativ und Kreativität sublimiert bekanntlich die aus dem Stunden-Vorbereiten drohende Impotenz.

Dein Refländer
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